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Gemäß dem KfW-Nachfolge-Monitoring Mittelstand streben bis 2027 im Durchschnitt jährlich rund 125.000 KMU eine Nachfolge an. Neben der gemeinsam von KfW und Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) betriebenen Unternehmensnachfolgebörse nexxt-change kümmern sich u. a. auch Handwerkskammern (HWK) um die Vermittlung zwischen Nachfolgenden und Übergebenden. Niels Weidner steuert das Projekt „Nachfolgelotsen“ der Hamburger HWK, deren Leiter Betriebsberatung er ist. Wir haben mit ihm über die wichtigsten Schritte und größten Herausforderungen bei dem Besitzerwechsel gesprochen.
Herr Weidner, was sind die Gründe dafür, dass so viele Unternehmerinnen und Unternehmer Schwierigkeiten haben, ihr Geschäft zum Ruhestand an Dritte zu übergeben?
In allererster Linie ist es die alternde Gesellschaft: Vielen übergabereifen Betrieben stehen weniger potenzielle Nachfolgende gegenüber. Außerdem haben Neugründungen bei vielen neuen Unternehmerinnen und Unternehmern ein besseres Image als Übernahmen. „Start-up gründen“ hört sich eben cooler an als Nachfolge. Das macht was aus, wenn auch nur unterbewusst. Dazu kommt, dass die nun schon über einige Jahre andauernde Krisensituation – erst die Pandemie, jetzt politische Verwerfungen mit wirtschaftlichen Turbulenzen im Schlepptau – sich dämpfend auf den Unternehmergeist von potenziellen Nachfolgenden auswirkt. Außerdem findet qualifiziertes Fachpersonal derzeit leicht attraktive Jobs, und der Gedanke an ein eigenes Unternehmen tritt deshalb oft in den Hintergrund. Wir gehen für die rund 15.000 Hamburger Handwerksbetriebe derzeit von etwa 4.500 Betriebsinhaberinnen und -inhabern aus, die bereits 57 oder älter sind – das Potenzial im Handwerk der Hansestadt ist für Nachfolgewillige also sehr groß.
Welche Größe haben die Firmen durchschnittlich, die speziell Sie in Hamburg vermitteln?
Wir beraten beide Seiten im Hamburger Handwerk. Ein Drittel unserer Mitgliedsbetriebe haben weniger als fünf Mitarbeitende. Betriebe mit mehr als 25 Mitarbeitenden sind in unserer Beratung eher selten, da die größeren in der Regel über Ressourcen verfügen, um das Thema selbst anzugehen. In ihrer Gesamtheit sind die Handwerksbetriebe eine wichtige Stütze für den Wirtschaftsstandort Hamburg und die Versorgungssicherheit der Stadt. Ich betone das, weil wir neben der betriebswirtschaftlichen Beratung und Begleitung unserer Mitgliedsbetriebe als Handwerkskammer auch helfen wollen, dass mittelständische Strukturen erhalten und gefördert werden. Zumal immer mehr neue Akteure auf den Nachfolgemarkt drängen: Zur zunehmenden Integration von traditionellen Handwerksbetrieben durch Industriebetriebe kommen immer mehr strukturelle Investoren hinzu, insbesondere Investment-Fonds aus aller Welt. Die wollen alle ein Stück vom lukrativen Markt für handwerkliche Dienstleistungen abhaben, interessieren sich aber nicht oder kaum für den Standort.
Worauf muss der übernehmende Teil bei so einer Nachfolge vor allem achten?
Gerade im mittelständischen Handwerk ist Betriebsführung immer auch Existenzsicherung. Übernahmen sind selten ein ergebnisoffenes Investment mit Option auf einen lukrativen Exit, sondern grundlegende persönliche Lebensentscheidungen mit weitreichenden Auswirkungen für die eigene berufliche Existenz, die Zukunft der Familie. Nachfolgen im Handwerk sind richtungsweisende Meilensteine mit großer Tragweite für das Leben von Handwerkerinnen und Handwerkern, die den Weg in die Selbstständigkeit gehen möchten. Mut, Entschlossenheit und Rückhalt im privaten Umfeld sind deshalb unabdingbar, reichen allein aber nicht aus. Eine sorgfältige Vorbereitung und Planung mit Hilfe externer Beraterinnen und Berater, die sich mit Betriebsstrukturen im Handwerk auskennen, gibt Sicherheit und erhöht die Erfolgschancen bei der Übernahme. In Hamburg stehen hierfür die Nachfolgelotsen der Handwerkskammer und unsere Betriebsberatung bereit, die auch Existenzgründerinnen und -gründer berät. Der erste Schritt ist, beide Optionen – Neugründung oder Übernahme – eingehend zu prüfen. Es sollte nicht gleich eine neue Firma gegründet werden, nur weil man meint, die eine sensationelle Geschäftsidee gefunden zu haben. Genauso wenig sollte man aber auch eine Nachfolge antreten, nur weil dies von einem erwartet wird: in Familienunternehmen etwa.
Welche Überlegungen sollte man vor einer Übernahme anstellen, auch im Vergleich zu einer Neugründung?
Beides hat Vor- und Nachteile. In unserer Betriebsberatung machen wir die Erfahrung, dass Handwerkerinnen und Handwerker, die sich selbstständig machen möchten, in den meisten Fällen zunächst an eine Neugründung denken und Betriebsübernahmen weitaus seltener auf dem Schirm haben. Grundsätzlich gibt es gute Argumente für beide Wege in die Selbstständigkeit. Die Vorteile einer Betriebsübernahme sind für unsere Klientel in den meisten Fällen aber schon sehr überzeugend: erprobtes Geschäftsmodell, testierte Geschäftszahlen, eingespieltes Personal, ein Kunden- und Lieferantenstamm sowie ein sicherer Betriebsstandort. Wer gründen will, muss erst einmal einen Geldgeber von seiner Geschäftsidee begeistern.
Unternehmens- und Branchenanalyse stehen sicher am Anfang des Entscheidungsprozesses. Was ist noch wichtig, wenn man sich für die Übernahme eines Unternehmens interessiert?
Wer bereits einen Betrieb im Blick hat, sollte das Unternehmen eingehend prüfen. Neben den betriebswirtschaftlichen Kennzahlen sollte auch geklärt werden, wie sehr der Betrieb vom derzeitigen Inhaber geprägt und von diesem abhängig ist. Gleiches gilt für Abhängigkeiten zu einzelnen Kunden – würde sich das Geschäft noch rechnen, wenn einer der Schlüsselkunden nach der Übernahme abspringt? Wie ist die Altersstruktur, die Stimmung und die Identifikation der Belegschaft mit dem Arbeitgeber, wer würde eher bleiben, wer vielleicht gehen wollen? Nicht alles kann im Vorfeld beantwortet, sicher angenommen oder ausgeschlossen werden. Unwägbarkeiten und Risiken sollten sich aber auf den Kaufpreis auswirken. Einen ersten Anhaltspunkt für den Kaufpreis gibt uns der Unternehmenswert, den wir nach dem bundesweit standardisierten Verfahren für Handwerksbetriebe ermitteln. Dieser berücksichtigt im Vergleich zu den Bewertungsstandards des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IWD) die Inhaberabhängigkeit in kleinbetrieblichen Strukturen, wie sie im Handwerk üblich sind.
Wann sollte man Gespräche zur Finanzierung aufnehmen?
Wenn man sich im Markt orientiert und eine grobe Vorstellung von Größenordnung und Kaufpreis entwickelt hat, sollte man mit der Bank seiner Wahl ins Gespräch gehen. Konkreter wird es natürlich erst, wenn man ein Unternehmen zur Übernahme an der Hand hat. Das Entscheidende bei der Kaufpreisfindung ist dann eine unabhängige und transparente Bewertung. Hier können dann auch noch Finanzierungsinstrumente wie ein Verkäuferdarlehen ausverhandelt werden. Von Vorteil kann die Finanzierung über die Bank des betreffenden Unternehmens sein, denn dort sind alle relevanten Zahlen bekannt.
Welche öffentlichen Finanzierungshilfen würden Sie empfehlen?
Jeder Fall ist anders. Eine pauschale Empfehlung gibt es nicht und wollen wir auch nicht geben. Wir gehen mit unseren Kunden die verfügbaren Finanzierungs- und Förderhilfen durch und schauen gemeinsam, was am besten passt und vernetzen dann zu den in Frage kommenden Partnern, zum Beispiel zur Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für Bundesmittel oder zur Hamburgischen Investitions- und Förderbank. Sie bietet in Kooperation mit der Bürgschaftsbank Hamburg ein attraktives Finanzierungsinstrument mit integrierter Bürgschaft, den „Hamburg-Kredit Gründung und Nachfolge“: Wenn Sie als Handwerksbetrieb in den ersten fünf Jahren nach Übernahme einen Ausbildungsplatz nachweisen, erhalten Sie zusätzlich einen Restschulderlass von 5.000 Euro.
Was sind nach einer Übernahme die größten Herausforderungen?
Finanzierungsprobleme: zu geringe Eigenmittel, unzureichende Sicherheiten, die Nichteinhaltung von Finanzierungszusagen. Oft kommt es auch zu einem unerwarteten Finanzierungsbedarf, zum Beispiel, weil nicht geplante Investitionen nötig sind. Manchmal fallen auch Aufwendungen für die Abfindung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an. Risiken wie diese lassen sich durch eine solide, langfristige Planung in der Vorbereitungsphase abmildern. Aber auch die menschliche Komponente spielt eine große Rolle und lässt sich oft schwer voraussehen. Beispielsweise wenn der Alteigentümer oder die Alteigentümerin immer noch ins Tagesgeschäft funkt und informelle Kundengespräche führt, oder wenn sich Widerstand in der übernommenen Belegschaft gegen den neuen Chef, die neue Chefin formiert. Auch für solche Situationen sollte man gewappnet sein. Gerade im Handwerk ist der zwischenmenschliche Bereich von großer Bedeutung – in kaum einer anderen Branche arbeitet man Tag für Tag persönlich so nah miteinander in familiären Strukturen. Eingespielte Teams sind ein wesentlicher Faktor für den Geschäftserfolg. Unser Tipp: So früh wie möglich bereits vor dem Übernahme-Stichtag den persönlichen Kontakt suchen und Gesprächsbereitschaft signalisieren.
Welchen Vorlauf muss man bei einer Übernahme einkalkulieren?
Ein wesentlicher Zeitfaktor ist die Nachfolgersuche. Wenn Erben oder Mitarbeitende, die den Betrieb kennen, schon in den Startlöchern stehen, kann es sehr schnell gehen. Wenn aber ein Nachfolger gefunden werden muss, kann das mehrere Jahre dauern. Noch mehr Zeit vergeht, wenn der Interessent erst einmal mitarbeiten soll, damit sich Übernehmer und Übergeber kennenlernen können, oder wenn der Besitzer schrittweise aus dem Unternehmen ausscheidet.
Wie kann man den Wert des Unternehmens berechnen, wer hilft einem dabei und wie lange dauert das Bewertungsverfahren?
Wichtig ist, dass der ermittelte Unternehmenswert nicht automatisch mit dem Kaufpreis gleichzusetzen ist. Es gibt verschiedene Bewertungsverfahren und dementsprechend voneinander abweichende Ergebnisse. Eine Anlaufstelle für den Unternehmenswert ist der betreuende Steuerberater. Wir erleben es aber immer wieder, dass dort andere Werte aufgerufen werden. Am Ende zählt, wie sich Übergeber und Übernehmer in dem abgesteckten Korridor verständigen.
Die Nachfolgelotsen der Hamburger Handwerkskammer sind – wie auch nexxt-change, die Nachfolgebörse von KfW und BMWK – um die Vermittlung bei Übernahmen bemüht. Wie gehen Sie da vor?
Die Nachfolgelotsen der Handwerkskammer Hamburg unterstützen bei der Suche nach einem externen Übernehmer, indem sie Übernahmeinteressierte und zur Übergabe anstehende Betriebe vernetzen bzw. „matchen“. Ferner betreiben wir eine handwerksspezifische, regionale Betriebsbörse. Darüber hinaus gibt es auch noch eine Reihe gewerblicher Unternehmensbörsen. Hilfreiche Ansprechpartner sind zudem Banken, Wirtschaftsförderungseinrichtungen und Steuerberater.
Neben den finanziellen Aspekten: Was ist den abgebenden Unternehmern in der Regel besonders wichtig?
Wir hören häufig den Wunsch, dass das Lebenswerk und die Geschäftstradition fortgeführt werden sollen. Aber auch, dass beispielsweise ein Nischenhandwerk, das nicht mehr so viele Betriebe ausführen, erhalten bleiben soll. Ein besonders wichtigerer Aspekt ist auch häufig die Verantwortung für die Mitarbeitenden des Betriebes. Ihr Arbeitsplatz soll sicher bleiben, damit sie und ihre Familien sicher sind. Das ist vielen Mittelständlern sehr wichtig. Und im Handwerk ist dieses Gefühl für den Betrieb als Familie besonders ausgeprägt.
Nicht selten verpassen Unternehmer den richtigen Übergabepunkt. Wann sollte man anfangen, sich damit zu beschäftigen?
Das stimmt. Einige Unternehmer verlassen sich zu lange auf eine familieninterne Übernahme und stellen plötzlich fest, dass das nicht machbar ist. So verstreicht die Zeit für die Entwicklung alternativer Nachfolgemodelle. Wir empfehlen, sich ab einem Alter von 55 Jahren mit unterschiedlichen Nachfolgemodellen zu beschäftigen, um dann im Übergabefall handlungsfähig zu sein. Grundsätzlich ist das Alter wohl das entscheidendste Kriterium, aber für einen günstigen Zeitpunkt spielt es auch eine Rolle, in welcher Phase sich der Betrieb befindet. Der beste Zeitpunkt für eine Übergabe ist aber dann, wenn mit einem nachhaltigen Wachstum gerechnet werden kann. Hin und wieder erleben wir sogar, dass eine zu späte Nachfolgeregelung zur Unternehmensaufgabe führt – wenn Betriebsinhaber sich nicht trennen können und weitermachen, ohne ausreichend auf den Werterhalt und die Marktchancen ihres Unternehmens geachtet zu haben. Für einen Ad-Hoc-Verkauf aus einer Notsituation heraus ist es dann manchmal zu spät. Tragisch ist es, wenn das Unternehmen gar nicht mehr übergabefähig ist – ein trauriges Ende für ein Lebenswerk und ein großes Risiko für die Altersvorsorge.
Zu welchem Vorgehen raten Sie, wenn innerhalb der Familie keine Nachfolgeregelung gefunden wird?
Fest steht: Wenn die Rente vor der Tür steht, ist es schwierig, einen geeigneten Nachfolger zu finden – ob er aus der Familie kommt oder von extern. Das A und O ist eine rechtzeitige Nachfolgeplanung mit mehreren Szenarien. Dann braucht es in vielen Fällen auch Zeit zur Einarbeitung – auch Familienmitglieder und Mitarbeitende als Übernehmer müssen angelernt werden und sich in die Betriebsabläufe einfinden. Chefin oder Chef zu sein, ist immer noch einmal etwas ganz Anderes als im Angestelltenverhältnis zu arbeiten. Wenn sich kein Familienmitglied für die Führung des Betriebs entscheidet, das Unternehmen dennoch in Familienhand bleiben soll, kann man auch nur die Leitung an einen Externen übergeben.
Stimmt das: Wer sein Lebenswerk verkaufen muss, hat oft unrealistische Vorstellungen vom Marktpreis?
Ja, das ist häufig der Fall. Wir denken an beide Seiten und versuchen bestenfalls, vermittelnd zu agieren: Den Nachfolger nicht mit einem übererhöhten Kaufpreis belasten und den Übergeber nicht um einen angemessenen Preis für sein Lebenswerk bringen.